Ökologie trifft Bauwirtschaft

Grüne Stadtplanung: Innovativer durch recycelte Baustoffe

Von Claudia Aldinger | 22. November 2022

Dachbegrünungen sind gut für Mensch und Umwelt. Aber auch sie benötigen Baustoffe, die zukünftig noch knapper werden. Die Stadt Magdeburg testet mit der hier ansässigen Hochschule für Angewandte Wissenschaften, inwieweit man für die Biotope am Bauwerk recycelte Materialien nutzen kann.

 

 

Dachbegrünung: Fläche, Substrat, Pflanzen

Wer das Dach seiner Garage oder seines Hauses begrünen will, braucht eine geeignete Fläche, genügsame Pflanzen und ein leichtes Substrat. Das mineralisch-organische Gemisch belastet das Dach weniger als herkömmliche Erde. Gibt es inzwischen alles im Handel. Für den mineralischen Anteil nutzen Hersteller Materialien wie Ziegelbruch oder Bims - also Baustoffe. "Und diese sind endlich. Wir stehen schon jetzt vor einem globalen Baustoff-Problem und müssen überall nach Alternativen suchen", erklärt Prof. Petra Schneider von der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Globaler Baustoffmangel: Forschung an der Hochschule Magdeburg-Stendal

Lateinamerika, Bangladesh, Vietnam: Anwendungsfelder für ihre Forschung findet die Ingenieurökologin auf der ganzen Welt. Mit dem Projekt Recycle-Bionet hat sie eine Herausforderung direkt vor der Haustür angenommen. Denn Magdeburg will angesichts der drastischen klimatischen Veränderungen grüner werden. Dachbegrünungen ziehen sich als Maßnahme "M-13" durch das gesamte "Klimaanpassungskonzept" und werden seit  2021 verbindlich in Bebauungsplänen festgesetzt. So wie auch in den Bebauungsplänen vieler anderer deutscher Städte. Jedes Dach benötigt einen Aufbau mit etwa 40 bis 50 cm Material*, Flächen stehen millionenfach zur Verfügung, wie eine Marktübersicht des Bundesverbandes GebäudeGrün e.V. zeigt. "Der Bedarf an Substrat für Begrünungen wird also erheblich steigen und zukünftig könnten Ersatzbaustoffe bei der Herstellung eine wichtige Rolle spielen", betont Petra Schneider die Relevanz ihres neuesten Forschungsprojekts.**

Mineralische Abfälle als Baustoff

Damit sich ein Ersatzbaustoff, also ein Baustoff aus mineralischen Abfällen, für ein Substrat zur Begrünung eignet, braucht er verschiedene Eigenschaften: er muss wenig wiegen, aber dennoch wie Erde funktionieren: möglichst viel Wasser speichern und den Pflanzenwurzeln genügend Raum geben. Notfalls soll sich das Dachgrün selbst versorgen können. "Dafür eignen sich auch mineralische Abfälle, die überall in großen Mengen anfallen, aber auf dem Markt bislang kaum wiederverwertet werden", erklärt Petra Schneider. Sie ist mit ihrer Forschungsgruppe eine der wenigen weltweit, die sich der Nutzung von Ersatzbaustoffen bislang gewidmet hat. Porenbetonbruch, Leichtbeton, Schotter, Schlacken, Asche: In den Laboren der Hochschule Magdeburg-Stendal sind bereits die verschiedensten Ersatzbaustoffe auf ihre "Begrünungsfähigkeit" untersucht worden, zum Beispiel für begrünte Dammkonstruktionen. Mit dem Projekt Recycle-Bionet wollen die Wissenschaftler:innen ihre "Topfversuche" nun im großen Maßstab testen.

 

spc

Elke Schäferhenrich vom Stadtplanungsamt Magdeburg

"CO2 einzusparen und Ressourcen zu schonen, indem wir in kleinen Kreisläufen Materialien wiederverwenden, ist ausdrücklich im Sinne unseres Klimaanpassungskonzepts"

Prof. Petra Schneider von der Hochschule Magdeburg-Stendal

"Wir stehen schon jetzt vor einem globalen Baustoff-Problem und müssen überall nach Alternativen suchen. Zukünftig könnten Ersatzbaustoffe bei der Herstellung von Substrat für Begrünungen eine wichtige Rolle spielen."

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Magdeburg: Auf dem Weg zur Urbanen Grünen Infrastruktur

Die dazu notwendigen Dachflächen vermittelt ihnen als Partner des Projekts die Stadt Magdeburg. Das Interesse der Landeshauptstadt an einer klimafreundlichen "Urbanen Grünen Infrastruktur" ist groß. "CO2 einzusparen und Ressourcen zu schonen, indem wir in kleinen Kreisläufen Materialien wiederverwenden, ist ausdrücklich im Sinne unseres Klimaanpassungskonzepts", sagt Elke Schäferhenrich vom Stadtplanungsamt. So stünden auch in Magdeburg Bauabfälle auf nahegelegenen Aufbereitungsanlagen zur Verfügung und warteten auf ihre Wiederverwertung. Das Projekt Recycle-Bionet - so die Idee der Initiatoren - könnte den Ersatzbaustoffen eine neue Nutzung eröffnen. "Und dabei haben wir nicht nur die Begrünung von Dachflächen, sondern auch die Renaturierung von Brach- und Altlastenflächen im Blick", verweist Elke Schäferhenrich auf eine weitere Maßnahme im Klimaanpassungskonzept der Stadt.

Mit Ersatzbaustoffen Ressourcen schonen und CO2 sparen

Dass der Weg zu einem Substrat aus recycelten Ersatzbaustoffen lang ist, wissen die Projektpartner auch. Sollten die Versuche - und danach sieht es aktuell aus - erfolgreich sein, müsste sich zunächst ein Hersteller finden, der das Substrat auf den Markt bringen möchte. Vor dem ersten Einsatz wären schließlich verschiedene Genehmigungsverfahren notwendig, die oft langwierig sind. Die nächsten Begrünungsmaßnahmen in Magdeburg werden demnach wohl noch mit Hilfe herkömmlicher Substrate durchgeführt. "Mittel- bis langfristig sehen wir in dem Projekt mit der Hochschule aber einen Gewinn, denn die Herausforderungen, Ressourcen zu schonen und CO2 einzusparen, werden bleiben und unsere Kooperationen mit der Hochschule geben uns einen Wissensvorsprung", sagt Elke Schäferhenrich auch mit Blick auf verschiedene andere Projekte, bei denen die Stadt Partner ist.

 

 

Interessen von Kommunen und Land

Das sieht offenbar auch der Mittelgeber des Projekts so: das Land Sachsen-Anhalt. Forschungsbedarf gibt es allemal, denn die Nutzung von Ersatzbaustoffen ist theoretisch wie praktisch umstritten. Gegen solche Zweifel kämpfte Petra Schneider schon mit dem Projekt Recycle-KBE (für Kunststoffbewehrte Erde) 2019/2020 an. Gemeinsam mit Prof. Sven Schwerdt aus dem Bereich Bauwesen der Hochschule konnte sie nachweisen, dass sich mineralische Ersatzbaustoffe nicht nur für den Straßenbau, sondern auch für hochwertige bautechnische Anwendungen eignen. Vertreten durch das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie Sachsen-Anhalt war damals auch schon das Land Kooperationspartner. In seiner Regionalen Innovationsstrategie sind die Themen "Wandel vom Abfall zum Produkt" und "geschlossene Stoffkreisläufe" wichtige Eckpfeiler.

Photovoltaik statt Dachbegrünung?

"Neben den Nachweisen für die Eignung der Ersatzbaustoffe werden wir weitere Daten liefern, etwa zur Ökobilanz der Materialien", sagt Petra Schneider und verweist damit auf logistische Aspekte, die im Projektergebnis von Recycle-Bionet ebenfalls eine Rolle spielen werden. Apropos Ökobilanz: Begrünungen konkurrieren um die Dachflächen mit der immer wichtiger werdenden Photovoltaik nicht. Im Gegenteil: mit dem grünen Aufbau können die Solarpanel beschwert und gekühlt werden, was sich wiederum positiv auf ihre Leistung auswirkt. Es handelt sich hierbei um sogenannte Solargründächer.

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Informationen und Kontakt

Prof. Dr. rer. nat Petra Schneider, Fachbereich Wasser, Umwelt, Bau und Sicherheit an der Hochschule Magdeburg-Stendal, 0391-8864577, petra.schneider@h2.de

Wie sich der Baustoffmangel in Vietnam auswirkt und welche Gegenmaßnahmen nützen, hat Petra Schneider im Projekt „SAND!“ erforscht. Herausforderung und Lösung beschreibt ein grafischer Überblick auf dem KAT-Blog.

Eine kurze Zusammenfassung zum Projekt Recycle-Bionet (gefördert vom 1.1.2022 bis zum 31.12.2023 durch das Land Sachsen-Anhalt) und zur Forschung von Prof. Petra Schneider bietet auch das Forschungsportal Sachsen-Anhalt.

Elke Schäferhenrich, Landeshauptstadt Magdeburg | Stadtplanungsamt, 0391-5405392, elke.schaeferhenrich@spa.magdeburg.de

 

Text und Bilder (soweit nicht anders benannt): Claudia Aldinger

Ergänzungen und Aktualisierungen

* Für die extensive Dachbegrünung ist eine Substratdicke von mindestens 8 Zentimetern notwendig, für eine intensive Dachbegrünung  40-50 Zentimeter Substrat.

** Inzwischen gibt es ein weiteres Projekt mit der Stadt Magdeburg: „UGI Plan“ fokussiert die “Valorisierung von Ökosystemleistungen des urbanen Gartenbaus als Teil der urbanen grünen Infrastruktur in der kommunalen Entwicklungsplanung”. Konkret geht es darum, ein GIS-basiertes Modellwerkzeug für die Modellierung von Optionen in der kommunalen Planung unter ökologischen Gesichtspunkten zu entwickeln. Dazu arbeiten die Forschenden der Hochschule Magdeburg-Stendal wieder direkt mit dem Stadtplanungsamt zusammen.